Höhle wurde durch Bakterien gebildet
Die ARD hat am Sonntag über eine Höhle in Wyoming (USA) berichtet, die durch Bakterien gebildet wurde. Der Beitrag lief in „W wie Wissen“, eine Gemeinschaftsproduktion von BR, HR, NDR, SWR und WDR. Zu dem Fernsehbeitrag schrieb Melanie Thun auf der Web-Site der ARD folgenden Info-Text:
Bisher glaubten Geologen zu wissen, wie Höhlen entstehen: Sickerwasser und Kohlendioxid lösen den Kalkstein auf. In einer Höhle in Wyoming stießen sie nun auf eine Überraschung, Bakterien, die vom Schwefel leben, scheinen riesige Hohlräume ins Gestein zu fressen. Und es zeigt sich, dass die winzigen Mikroben auch anderswo für gigantische Hohlräume verantwortlich sind.
Völlige Dunkelheit. Giftige Gase, die innerhalb weniger Minuten töten können. Trotzdem wagen sich zwei amerikanische Wissenschaftlerinnen in eine wilde Höhle in Neu-Mexiko.
Für die Mikrobiologin Diana Northup steckt die Höhle voller Überraschungen: „Normalerweise, wenn man in eine Höhle geht, ist es sehr, sehr schwer, irgendwo Leben zu finden. Deshalb macht es einen geradezu sprachlos, dass man hier überall, wo man hinsieht, Leben entdeckt. Es gibt Spinnen und Insekten. Und wenn man tiefer in die Höhle geht, wo es wirklich stockdunkel ist, gibt es Felsen in diesem Fluss, die mit einem grünen Überzug bedeckt sind. Ihre Energie können sie alle nicht durch Sonnenlicht bekommen, sondern es muss etwas anderes sein. Also fragt man sich: ‚Was treibt dieses System bloß an?'“
Ätzende Schleimfäden
Und noch ein Rätsel gibt die Höhle auf. Von der Decke baumeln weiche, klebrige Schnüre – wie Schleim aus einer laufenden Nase. Zu der Überraschung der Forscherinnen tropft aus diesem merkwürdigen Schleim eine ätzende Säure, die alles um sich herum aufzulösen scheint, wie Louise Hose, Geologin an der Chapman Universität, aus eigener Erfahrung weiß: „Die Flüssigkeit, die von jedem dieser schleimigen Schnüre tropft, ist Schwefelsäure. Wenn man es auf die Hand bekommt – ich habe davon etwas ins Auge bekommen – brennt es unglaublich. Kleidung löst sich auf, wenn die Säure drauffällt. Wenn die Säure auf den Fels trifft, formt sie die Höhle, indem sie den Kalkstein auflöst.“
Knapp unter der Erdoberfläche – eine nahezu unbekannte Welt. Gigantische Höhlen – groß wie Kathedralen. Doch was hat sie geformt? Sind es wirklich diese „Schleim-Schnüre“? Und wie kommen die da unten hin? Woraus bestehen sie? Die Wissenschaftler nehmen eine Probe. Doch auf einmal gibt ein Warngerät Alarm. Sofort müssen sie die Höhle verlassen. „Wir stellten fest, dass der Kohlenmonoxidgehalt steigt. Und unsere Gasmasken schützen nicht gegen Kohlenmonoxid. In dieser Höhle kann man wirklich auf viele Arten und Weisen sterben“, erklärt Diana.
Wieder in Sicherheit machen sich die Wissenschaftler daran, Stück für Stück das Rätsel Höhle zu lösen. Bisher glaubten Geologen, dass für die Entstehung von Höhlen allein Wasser und Kohlensäure verantwortlich sind. Die lösen den Kalkstein auf. Doch jetzt erlebten die Wissenschaftler um Diane Northrup die Überraschung: „Wenn man sich diese Schnüre unter dem Mikroskop anschaut, entdeckt man, dass es sich um riesige Bakterien-Kolonien handelt. Und als ich mir die DNA von ihnen angesehen habe, wurde mir klar, dass es eine Bakterienart ist, die Schwefel aufnimmt und Schwefelsäure abgibt.“
Verantwortlich für gewaltige Gipsformationen
Bakterien also, klein, aber mächtig. Und offensichtlich eine gute Nahrungsgrundlage für anderes, höheres unterirdisches Leben. Denn in den Schnüren finden sich nicht nur Bakterien. Auch Milben, Würmer, kleine Käfer und Insekten haben sich diesen seltsamen Lebensraum erschlossen. Vermutlich grasen sie die Bakterien ab. Die Bakterien sind also Nährboden für vielfältiges Leben. Aber auch – so die Theorie – verantwortlich für gewaltige Gipsformationen. Denn die Schwefelsäure, die sie produzieren, reagiert mit Kalziumkarbonat im Fels. Das Ergebnis: Gips. Der wiederum ist wasserlöslich und wird von Sickwasser und besonders von Hochwasserströmen von den Höhlenwänden abgewaschen. Immer wieder und wieder. Auf diese Weise vergrößert sich allmählich der Höhlenraum.
Eine andere Gruppe von Wissenschaftlern macht sich auf, diese Theorie zu überprüfen, diesmal im nördlichen Wyoming, in einer anderen, nicht ganz so gefährlichen Höhle. Sie wollen herausbekommen, in welchem Ausmaß die Bakterien die Höhle formen. Und was war eigentlich zuerst da: die Höhle oder die Bakterien? Lauter Fragen, die sich Phil Bennett, Geologe an der Universität von Texas, stellen: „Es ist möglich, dass die Bakterien die Höhle geformt haben. Aber die Höhle kann durchaus auch ohne Bakterien entstanden sein und die leben jetzt halt nur hier. Aber genau das ist die spezielle Frage, auf die wir eine Antwort suchen: Haben die Bakterien all das gemacht, oder ist das alles so passiert und die Bakterien sind hier in die Höhle halt eingezogen, weil sie sich hier wohlfühlen?“
Ein einfacher, aber effektiver Test soll die Antwort bringen: Die Wissenschaftler packen Kalksteine in kleine Plastikröhren und legen die in eine Quelle, wo Bakterien leben. In eine Röhre können sowohl säurehaltiges Wasser wie auch Mikroben eindringen, in die andere kann nur Wasser gelangen, aber keine Bakterien. Monate später untersuchen sie die Proben unter dem Mikroskop. Das Ergebnis: Dort, wo sowohl das Wasser und auch vor allem die Bakterien hineinfließen konnten, wurde der Kalkstein viel stärker zerfressen.
Kleinste Organismen – ganz große Auswirkungen
Für Phil Bennett steht damit fest: „Würde sich Schwefelwasserstoff auch in Schwefelsäure umwandeln, wenn wir eine absolut sterile Höhle vorfinden würden? Die Antwort ist ja, aber eben nicht so schnell. Wenn Bakterien von Schwefelwasserstoff leben und dabei Schwefelsäure produzieren, geht die Auflösung sehr viel schneller. Das bedeutet, dass es tatsächlich die Bakterien sind, die diese Höhle so rasch formen.“ Damit ist nun wirklich klar: Kleinste Organismen – ganz große Auswirkungen. Gigantische Höhlen – von Bakterien quasi ausgehöhlt. Die von ihnen produzierte Schwefelsäure wandelt den scheinbar festen Kalkstein in Gips um. Und der wird wieder durch Wasser aufgelöst.
Eine erstaunliche Entdeckung mit vielleicht weitreichender Bedeutung, wie Bennett andeutet: „Das Leben besteht aus einfachen chemischen Komponenten. Wichtig daran: In der Frühform des Lebens oder in anderen Umgebungen oder auf anderen Planeten ist das alles, was da ist. Die Bakterien in dieser Höhle, die unter so einfachen Bedingungen leben können, machen deutlich: So könnten auch Bakterien zum Beispiel auf dem Mars existieren.“ Leben unter extremsten Bedingungen. Noch wissen wir sehr wenig darüber.
(Autorin: Melanie Thun)