Die Höhlensaison beginnt wieder – Höhlenretter immer einsatzbereit
BAD URACH An dieser Stelle bekommt fast jeder Beklemmungen. Ein niedriger, fast bis zur Decke mit Wasser gefüllter Gang. Er erweist sich als Hindernis für die drei Höhlenneulinge. „Kommt“, ruft ihr Führer Michael Hottinger durch den fünf Zentimeter hohen Luftspalt. Sie werden ihm nicht folgen, die Nerven machen nicht mit. Frierend sitzen die Bewerber für eine Mitgliedschaft in der Höhlenrettung Baden-Württemberg im ersten Siphon der Falkensteiner Höhle bei Bad Urach.
Knapp einen halben Kilometer im Berg, unter 70 Meter Fels. Der 40-jährige Hottinger ist nur fünf Meter von der Gruppe entfernt und scheint doch unerreichbar weit weg. Er leuchtet den Aspiranten mit einer Taschenlampe den Weg. In einen Neoprenanzug gekleidet, hat er sich im Wasser auf den Rücken gedreht und, die Nase hart an der Höhlendecke, durch den Siphon gleiten lassen. Der Höhlenretter und seine Schützlinge kehren um. Vielleicht klappt es das nächste Mal. „Wer weitergeht, wenn er Angst hat, begibt sich in Gefahr“, warnt Hottinger.
Der Siphon in der Falkensteiner Höhle ist eine der typischen Schlüsselstellen für Höhlengeher. „Diese Passage ist berüchtigt. Wenn du weiter hinten in der Höhle bist und es draußen stark regnet, steigt der Wasserstand und der Luftspalt macht zu. Dann sitzt man fest“, erklärt Hottinger. Er muss es wissen. Der Metzinger ist einer von 140 Helfern der Höhlenrettung Baden-Württemberg. Die Spezialisten rücken immer dann aus, wenn tatsächlich einer das Pech hatte, hinter dem Siphon in der fünf Kilometer langen Falkensteiner Höhle eingeschlossen zu sein.
Jetzt, Ende April, könnte es bald wieder soweit sein. Die Fledermäuse haben ihre Winterruhe beendet, die Höhlen dürfen wieder betreten werden. Horden von Abenteurern, Outdoor-Sportlern und Naturfreunden klettern, schwimmen, und kriechen durch die Falkensteiner Höhle oder eine andere der rund 3000 Karstobjekte Baden-Württembergs.
„Wir sind selbstverständlich das ganze Jahr über einsatzbereit, aber im Sommerhalbjahr sind die Besucherzahlen am höchsten und die Unfallgefahr somit am größten“, weiß Hottinger. Bei der Höhlenrettung Baden-Württemberg ist der Einzelhandelskaufmann für das Einsatzmaterial verantwortlich. Er zeigt das Ausrüstungsdepot des Vereins. Nach Farben sortiert und in wasserdichte Tonnen und Säcke verpackt, findet sich in den Regalen alles was man für die Versorgung eines Verletzten tief unter der Erde braucht. Rund 30 Säcke im ganzen. „Im Prinzip ist es der Inhalt eines Rettungswagens, der auf viele einzelne Module verteilt wurde.“
Bei einem Alarm bringen Feuerwehr oder Polizei das Material an den Höhleneingang. Von dort müssen die Höhlenspezialisten ihre Ausrüstung selber zum Verletzten tragen – oft eine Sache von Stunden. Während der Verletzte von den Medizinern des Teams versorgt wird, legen andere Helfer eine Feldtelefonleitung zum Unfallort.
„Handyempfang gibt es unter Tage nicht und Funkgeräte versagen in Höhlen nach wenigen Meter“, erklärt Hottinger. Ist der Patient transportfähig, beginnt eine oftmals stundenlange Quälerei. „Ein Tragenteam aus fünf Personen muss je nach Schwierigkeitsgrad der Strecke etwa alle 200 bis 400 Meter abgelöst werden.“ Die Ursache von solchen Notfällen ist nach der Erfahrung der Einsatzkräfte oft Selbstüberschätzung und Unkenntnis. Dazu kommt manchmal eine Ausrüstung, die jeder Beschreibung spottet. „Ich habe schon Leute in der Badehose am Siphon stehen sehen. Wenn die sich dort den Knöchel brechen und nicht mehr zurück können, ist in wenigen Minuten eine Unterkühlung garantiert.“
Mindestens zwei Lampen, warme Kleidung und dazu ein Helm, empfiehlt der Fachmann. In Höhlen wie der Falkensteiner Höhle kommt man um einen Neoprenanzug gar nicht herum. In den bis zu 125 Meter tiefen Schachthöhlen der Schwäbischen Alb gehören zur Grundausrüstung noch jede Menge Seilmaterial sowie Abseil- und Aufstiegshilfen. Ein weiteres Problem stellen für die Untertage-Retter die falschen Alarme dar. „Manchmal melden sich die Leute nach einer Höhlentour gar nicht bei ihren Angehörigen zurück. Wir suchen sie dann, obwohl sie schon wohlbehalten in der nächsten Kneipe sitzen“, ärgert sich Hottinger.
Glücklicherweise sind Einsätze der Höhlenrettung insgesamt recht selten. Ein Grund dafür ist, dass sich trotz oder gerade wegen der Gefahren viele Höhlenbesucher gut informieren und ausrüsten. Und die restlichen? Michael Hottinger hat nur eine Erklärung: „Die haben einfach jedes Mal ein Riesenglück.“
Autor: Alexander Maier für dpa