Die älteste Vogeldarstellung der Welt
Tübinger Archäologe präsentiert 30.000 Jahre alte Elfenbeinfiguren
Von Gerrit-Richard Ranft (epd)
Schelklingen (epd). Der Hohle Fels im Achtal bei Schelklingen ist eine Albhöhle unter vielen anderen. Ein großes Loch, das über Hunderttausende von Jahren kohlensäurehaltiges Wasser aus dem Fels gespült hat. Beim zweiten Hinsehen offenbart die Höhle Sensationelles: Mehr als 32.000 Jahre alte Figuren aus Elfenbein, dazu Steinchen, die vor 15.000 Jahren bemalt wurden.
Über diese Funde berichtet der Chefausgräber der Tübinger Universität, Professor Nicholas J. Conard, an diesem Freitag bei der Eröffnung der Sonderausstellung „Eiszeitkunst Premiere“ im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren.
Der Hohle Fels hat Wertvolles über das Dasein der Menschen zur Eiszeit bewahrt. Dabei stand es lange Zeit nicht gut um ihn und die im Höhlenschutt gelagerten urweltlichen Relikte. Bereits 1830 hatte Karl Friedrich Rixinger aus Gerhausen bei Blaubeuren dort Knochen von Höhlenbären gefunden, die vor 13.000 Jahren ausgestorben waren. Die Bärenknochen verkaufte er einem Sammler in Ulm. Ein Schelklinger Fabrikant baute 1844 im Hohle Fels Fledermausguano als Ackerdünger ab.
Pfarrer Josef Hartmann aus dem nahen Wippingen veranstaltete 1870/71 gemeinsam mit dem Stuttgarter Gelehrten Oskar Fraas eine erste große Grabung in der Höhle. Im Jahr darauf lud die Deutsche Gesellschaft für Anthropologie in Berlin zu einer Fachtagung im Hohle Fels ein, zu der auch der Mediziner, Anthropologe und Politiker Rudolf Virchow anreiste.
Um die Höhle für die Tagungsteilnehmer leicht begehbar zu machen, waren eigens zu diesem die damalige Forscherwelt bewegenden Ereignis Treppen und Stege eingebaut worden. Nach Feststellung der Museumsgesellschaft Schelklingen nahmen die Tagungsteilnehmer seinerzeit reichlich Fundstücke als Andenken mit. Schon damals beklagten Zeitgenossen, die Höhle sei durch Grabungen geradezu verwüstet worden.
Der Schwäbische Albverein räumte 1905 die Einbauten von 1872 wieder aus und feierte erstmals ein Höhlenfest mit Beleuchtung. Der Tübinger Paläontologe Robert Rudolf Schmidt untersuchte 1906 den Hohle Fels. Dreißig Jahre später wurde die Höhle als Naturdenkmal geschützt. Elektrische Beleuchtung kam 1955 hinein. Professor Gustav Riek und
die Schelklinger Heimatforscherin Gerlinde Matschak gruben 1958 bis 1960 auf eigene Faust. Seither ist Schluss mit der mehr oder weniger wilden Graberei im Fels.
Seit 1977 forscht dort ausschließlich das Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Tübingen. Seinen archäologischen Spurensuchern ist hier nicht nur der Nachweis gelungen, dass Eiszeitjäger den mächtigen Höhlenbären gejagt, zerlegt und verspeist haben. Ihre Forschungen im Hohle Fels belegen zudem, dass vor Jahrtausenden Höhlenmalerei auf der Schwäbischen Alb üblich war.
Und vor 29.000 bis 36.000 Jahren haben Eiszeitleute im Hohle Fels eine regelrechte Elfenbeinwerkstatt unterhalten. Professor Nicholas J. Conard hat dort einen kleinen Wasservogel aus Elfenbein gefunden, vermutlich ein Gänsesäger. Mit einem Alter von mehr als 30.000 Jahren gilt er jetzt als die älteste Vogeldarstellung der Welt.
In derselben Bodenschicht kam ein weiteres Elfenbeinfigürchen ans Licht, ein Mischwesen aus Mensch und Löwe, vergleichbar jenem 30 Zentimeter großen eiszeitlichen Löwenmenschen im Ulmer Museum. Allerdings war die arg lädierte Hohle-Fels-Figur zur Entstehungszeit wohl nur knapp fünf Zentimeter hoch.
Informationen: Eröffnung der Sonderausstellung „Eiszeitkunst Premiere“ am 19. Dezember um 19.30 Uhr im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren mit Professor Nicholas J. Conard vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Tübingen und dem Leiter der Archäologischen Sammlungen im Ulmer Museum, Kurt Wehrberger